„Ein Zettel hätte auch gereicht“! - Anleitung zur entspannten Digitalisierung.
Für Vor- und Mitdenker.
Das Dilemma
Während die hartgesottenen unter den Unternehmen bereits eifrig an ihrer Industrie 4.0 Strategie basteln, ringen andere noch um einen angemessenen Umgang mit der Digitalisierung an sich. Diese ist soeben von der deutschen Bundeskanzlerin höchstselbst auf die Modernisierungs-Agenda gehoben worden. Dieser Beitrag soll einige Aspekte aufzeigen, die Entscheider in Unternehmen bezüglich der Digitalisierung bedenken sollten, und zu einem gelassenen Umgang mit dem immer noch ungebrochenen Digitalisierungs-Hype beitragen.
Weniger ist oft mehr
Muss alles in Bits und Bytes gegossen werden, was als Notiz, etablierter Prozess, Kniff oder Idee in unseren Unternehmen zum Gelingen beiträgt?
Wie die Überschrift dieses Beitrages nahelegt, sicherlich nicht. Nur was machbar ist und für ein Unternehmen kontrollierbar bleibt, bringt eine echte Erleichterung und Verbesserung unserer Arbeit.
Aber was bedeutet Digitalisierung in einer Firma? Wieso genießt dieses Thema auch 17 Jahre nach Platzen der Internetblase ungebrochene Aufmerksamkeit?
Computer sind dumm
Ganz allgemein handelt es sich bei der Digitalisierung um das Gießen von Geschäftsinformationen in eine Form, die das Verarbeiten durch Computertechnologie ermöglicht. Diese Geschäftsinformationen waren im Laufe der jüngeren Geschichte zunächst Zahlen, dann Text, schließlich komplette Geschäftsprozesse und Regelwerke. Da Computer nur verarbeiten können, was ihren vorher als verdauliche Kost avisiert wurde, müssen alle Informationen in gewissen Standards zur Verfügung gestellt werden. Je nach Technologie müssen damit für alle Informationen das Format der Eingabe, der Verarbeitungslogik und das zugrunde liegende Datenbankformat einem kleinsten gemeinsamen Nenner genügen. Nahtlos funktionieren können Computer eben nur mit mundgerechten Happen an Informationen.
Wissen in den Tiefen von Organisationen
In den meisten Organisationen sind Datenbestände, Dokumentation und Prozesse jedoch – wie der Name schon sagt – organisch gewachsen. Karteikarten, Pläne, Datenblätter und dicke Aktenordner und nicht zuletzt die Köpfe der Mitarbeiter beherbergen all die Informationen, welche ein Unternehmen oder ein öffentlicher Betrieb zum Funktionieren benötigt. Um diese Informationen mit der Welt der Dinge zu verbinden, kleben, stanzen und drucken wir standardisierte Texte, Symbole, Bilder und Nummern darauf. Diese Standards sind schon seit der Prägung der ersten Münzen selbstverständlich und helfen uns, komplexe Vielfalt beherrschbar zu machen. Vieles ist schriftlich in Archiven und Schränken vorhanden und muss im Bedarfsfall hervorgeholt werden. Wo Aktenordner Zahlen und Bezeichnungen nur auflisten, kann kein Vergleich und keine intelligente Verknüpfung unter ihnen hergestellt werden. So mussten Controller früher Zahlenreihen zusammentragen und analysieren; gab es Probleme, ergriff kein Leitz-Ordner je die Initiative.
Digitalisierung von Informationen
Durch die Digitalisierung sollen all diese Informationen nun maschinell gespeichert werden und somit dem schnellen Auffinden auch aus der Distanz sowie einer weiteren Verarbeitung in Firmenprozessen dienen. Gleichzeitig erhofft man sich eine erhöhte Kontrollierbarkeit und Übersicht, sollten sich wichtige Mitarbeiter im Urlaub befinden oder Akten an einem anderen Standort archiviert sein. Letztlich will man vermeiden, ein und dieselben Daten und Texte immer wieder einzugeben und auf Rechnungen und Bücher zu übertragen. Idealer Weise schickt der Datensatz selbst eine E-Mail an den Controller oder an den Einkauf, wenn Dinge aus dem Ruder zu laufen drohen.
Stand der Technik
So weit sind Unternehmen in vielen Teilen schon. Der Anteil der Digitalisierung an den Geschäftsprozessen schwankt von der obligatorischen Finanz-und Steuersoftware über CRM-Datenbanken bis hin zur erfolgreichen Einführung aller relevanten SAP-Module. Gemeinsam haben all diese Digitalisierungsschritte, dass sie die organisch gewachsenen Prozesse und Benennungen vereinheitlichen und der Software oft erheblich anpassen müssen. Je nach Budget für unternehmensspezifische Umprogrammierung und Konfiguration der Software kann die so geforderte Anpassung erheblich sein. Umstrukturierung, Fusion mit einem Fremdunternehmen und neue Anforderungen eines Kunden können weitere Anpassungen nötig machen.
Digitalisierungsprojekte immer wieder von Neuem nötig
Logistik und im Supply Chain Management zum Beispiel verfügen oft schon über einen hohen Digitalisierungsgrad und bergen dennoch großes Potential für weitere Optimierungen. So sind Prozessanalyse, -harmonisierung und -digitalisierung das tägliche Brot von Modernisierungsprojekten, zum Beispiel unserer Absolventen des Studiengangs Logistikmanagement. Diese Projekte sind regelmäßig nötig, um weiterhin von verbesserten und erweiterten Möglichkeiten von IT, Telekommunikation und Elektrotechnik zu profitieren und konkurrenzfähig zu bleiben.
Wie Schritt halten?
Eine Prozessanalyse zum Beispiel in der Produktionslogistik ist bei entsprechender Transparenz leicht anzufertigen. Man verfolgt ein Werkstück oder einen Container, beobachtet, welche Stufen diese durchlaufen, spricht mit Mitarbeitern und zeichnet aus diesen Informationen eine Prozessskizze. Anschließend führt man dies an anderen Standorten oder mit anderen Produkten durch. Die Prozesse werden dokumentiert und, falls gewünscht, standortübergreifend harmonisiert. Jetzt muss nur noch die Software gefunden werden, welche die gelebten Prozesse bestmöglich abbildet und auch in absehbarer Zeit nicht zum alten Eisen gehören wird.
Da war doch was mit Excel..!
Nun hat man beispielsweise Produktionsschritte identifiziert, die sich für die Digitalisierung oder eine weitere IT-Modernisierung anbieten. Hier wird oft versucht, eine Abbildung der überkommenen Prozesse und Datenblättern durch Software in Auftrag zu geben. Will man eine exakte Übertragung der Prozesse, lässt man eigene – sogenannte proprietäre – Software entwickeln, zumindest auf Basis von Tabellenkalkulationen oder einer gängigen Datenbank. Andererseits drängen Vertriebsteams von Softwareschmieden darauf, doch ein „Standardpaket“ zu nehmen, bestenfalls mit der Möglichkeit eines Branchenmoduls und diversen betriebsspezifischen Anpassungen. Das Dilemma ist oft im Alleingang nicht zu lösen.
Hoffentlich kennen wir jemanden, der das kennt..
An dieser Stelle gilt es, sowohl eine langfristig teure, weil nicht erweiterungsfähige, als auch eine kurzfristig überteuerte, weil überdimensionierte, Lösung zu vermeiden. Daher empfiehlt es sich, einen Extraschritt zu gehen und sogenannte „Best Practices“ - erprobte Patentrezepte – innerhalb des eigenen Netzwerkes zu suchen. Kontaktieren Sie Ansprechpartner und Mitglieder in Ihrem Industrieverband; sprechen Sie auf Messen und Konferenzen mit Personen in vergleichbaren Funktionen. Was haben andere Unternehmen in ähnlichen Fällen unternommen? Kann mir jemand aus dieser Erfahrung heraus wertvolle Tipps von Kollege zu Kollege geben? Gibt es Branchen, die ähnliche Notwendigkeiten haben, und schon Standardprozesse empfehlen? Nicht zuletzt sollte man zudem auf die Erfahrung und Kreativität der eigenen Mitarbeiter bauen, welche oft einen besonders funktionalen Blick auf Abläufe und die tatsächlich erforderlichen Informationen entwickelt haben.
Nicht alles ist besser als ein Zettel.
Nicht jede Software-Demo ist gleich die Firmenversion mit Echtdaten und Schnittstellen zum Kunden. Versprechungen von Funktionalitäten und reibungsloser Einführung von Software in die eigene Betriebsumgebung scheitern oft an der Realität. Letztlich arrangiert man sich dann mit dem Resultat, zunächst um das Gesicht zu wahren, aber auch in der Hoffnung, dass ein weiterer Modernisierungsschub die gewünschten Ergebnisse bringen wird.
Findet man Gleichgesinnte, die ernüchtert über eine spezielle Digitalisierungsmaßnahme berichten, sollte man durchaus an eine Zwischenlösung in Tabellenform denken.
Wo nur selten Daten anfallen, welche zudem von Mitarbeitern jeweils individuell angepasst werden müssen, darf es auch ein Blatt Papier sein. Mit solchen Zwischenlösungen kann man selbstbewusst weiterarbeiten, bis sich anhand weiterer Innovationen eine geeignete digitale Lösung auftut.